Die Töchter des Matriarchats

Maribel ist in einer Stadt im Süden Mexikos geboren, in der Frauen die Wirtschaft leiten und das gesellschaftliche Leben regeln. Doch sie will ein anderes Leben.

Text und Fotos: Friederike Oertel

erschienen am 26. Dezember 2018 in ZEIT Campus


Schneewittchen lebt in Mexiko. Heute Morgen hat sie sich das blaue, eng anliegende Kleid angezogen, das sie so gerne trägt, ihre Lippen mit rotem Lippenstift bemalt und ihre langen dunklen Haare mit einem Tuch zusammengeknotet. Sie hat sich in ihr weiß bezogenes Bett gelegt, zwischen blutrote Hibiskusblüten und rosa Konfetti. 

Sie liegt da, wie Schneewittchen im Schrein. Schneewittchen heißt Maribel, ist 27, gestern hat sie sich verlobt. Sie wurde in ein Matriarchat geboren. Doch das verändert sich – gerade wegen junger Frauen wie ihr.

Maribels Mutter und ihre Zwillingsschwester, ihre Tanten, Cousinen und Freundinnen kommen ins Zimmer. Sie tragen bunt bestickte Blusen und knöchellange Röcke, ihre Haare haben sie zu dicken Zöpfen geflochten und mit bunten Blumen und Bändern gekrönt. Sie sehen aus wie ein halbes Dutzend Frida Kahlos. Es sind die Frauen von Juchitán, einer Stadt im Süden Mexikos. Es ist einer der wenigen Orte der Welt, an dem jahrhundertealte matriarchale Strukturen bis heute existieren.

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