Die unwahrscheinliche Liebesgeschichte von Toni und Ahmad

Sie kam aus Bayern, er aus Syrien: Angela Merkels „Wir schaffen das“ fiel in ihren Sommer der Liebe. Dann kam der Fremdenhass, und Ahmad verzweifelte an Tonis Freiheitsdrang. Doch das war nicht das Ende.

Bartholomäus von Laffert

erschienen am 28.04.2017 im Tagesspiegel


Ahmad krächzt aufgebracht ins Telefon: „Bruder, ich glaube, wir haben ein fettes Problem. Hast du die Nachrichten gecheckt?“ Erwartungsvolle Pause, und als er merkt, dass ich echt gar nichts checke, redet er einfach weiter. „Glaube, da haben ein paar von meinen Kumpels in Köln ein bisschen über die Stränge geschlagen an Silvester.“ Kein Lachen, keine Pointe. Das ist Ahmads sarkastischer Ernst. Es ist der 5. Januar 2016.

Vier Tage zu spät, aber dafür mit voller Wucht schlagen die Meldungen aus der Kölner Silvesternacht in Deutschland ein: „Sexmob wütet in Köln“, titelt die „Bild“. „Sind wir tolerant oder schon blind?“, fragt der „Focus“. Die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker rät zur Armlänge Abstand, Alice Schwarzer schreibt über die „Folgen der falschen Toleranz“ und im Internet entlädt sich der Hass, die Hetze. Die deutsche Frau muss vor dem unerzogenen muslimischen Flüchtling beschützt werden, so der Kommentarspalten-Konsens. Ahmad hat Schiss, und ich bald auch. Um Ahmad, um Deutschland.

Dabei war Ahmad nicht in Köln, sondern in Berlin. Die Typen sind weder Ahmads Freunde noch Geistesbrüder oder sonst irgendwas, sie tragen nur blöderweise dieselben sozialen Label: Flüchtlinge, Muslime. Und die müssen seit Köln nun einmal kollektiv geradestehen. Dabei hätte Ahmad im Leben keine fremde Frau auch nur angefasst. Gott behüte. Schon allein wegen Toni nicht.

Toni ist Ahmads Freundin, seit einem halben Jahr sind die beiden jetzt, im Februar 2017, ganz offiziell ein Paar. Kurz vor besagtem Silvester hatten sie zum ersten Mal Sex.

„Ich hätte damals echt kotzen können!“ Toni ist maximal gereizt, als wir uns nach zu langer Zeit mal wieder treffen. „Was für rechte Chauvis da plötzlich aus den Rattenlöchern gekrochen kamen, um ihre Frauen zu verteidigen.“ „Katze, reg dich nicht so auf“, sagt Ahmad in seiner ganz eigenen Sprache, den Kosenamen auf Deutsch, den Rest auf Englisch. Dazu streicht er liebevoll durch Tonis violette Haare.

Wir sitzen zu dritt am wackeligen Holztisch in einer WG-Küche in Friedrichshain. Das Fenster ist gekippt, der Himmel grau, und in der Wohnung unter uns schimpft – ganz das Klischee – ein wütender Rio Reiser aus den Lautsprechern. Wir spielen UNO, rauchen Selbstgedrehte und reden von früher. Bisschen so wie 85-jährige Rentner beim Bridge, kurz bevor sie endgültig das Zepter abgeben.

„Ein-ein-halb Jaaahre?“, fragt Toni ungläubig. 18 Monate. Genau so lange ist es her, dass wir Ahmad kennenlernten. Toni und ich. Damals teilten wir uns noch ein WG-Zimmer in Kreuzberg. Erst zu zweit, später zu dritt, irgendwann zu viert. Ich schrieb darüber genau hier, in Mehr Berlin, in der Ausgabe vom 15. August 2015. Über Toni, Ahmad, Youssuf, mich. Youssuf zog aus, er hatte seinen Abschiebebescheid bekommen, zurück nach Italien. Anfangs gab er uns noch seine Standorte durch: Mailand, Turin, Bologna, dann plötzlich wieder München, dann war die Leitung tot, die Nummer nicht mehr available. Das war letzten Sommer. Da war Ahmad schon lange umgezogen. Mit Toni, von Kreuzberg nach Friedrichshain. Heute bin ich bei den beiden nur noch zu Besuch.

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