Kopflose Rambos? Wenn Zürcher Polizist:innen prügeln (1/2)

Wenn Demonstrierende auf Polizist:innen treffen, kommt es oft zu Gewalt. Daran ist auch ein Paradigmenwechsel innerhalb der Polizei verantwortlich. Teil 1 der Reportage über Polizeigewalt in Zürich.

von Malte Seiwerth und Anina Ritscher

erschienen am 09.06.2021 bei das Lamm


Ein Geschoss trifft Moritz* am Hals. Ein zweites am Brustkorb. Ein drittes am Bauch. Er fällt zu Boden und verliert das Bewusstsein. 

Als er die Augen öffnet, sieht er die Stiefel von drei Polizist:innen. Ein Fuss drückt auf seinen Rücken und klemmt Moritz’ linken Arm zwischen Oberkörper und Boden ein. Eine Stimme befiehlt: „Hand auf den Rücken! Leisten Sie keinen Widerstand!“

Moritz will ansetzen, um zu erklären, dass ihm das nicht möglich sei, doch er bekommt keine Luft. Ein Polizist tritt mit dem Fuss mehrere Male gegen Moritz’ Oberkörper. Ein zweiter drischt von oben auf ihn ein. Moritz krümmt sich vor Schmerz.

Als er langsam zu sich kommt, hört Moritz eine näher kommende männliche Stimme: „Woher kommt denn der da?“ Moritz vermutet später, dass es sich dabei um den Einsatzleiter handelt. „Der lag da vor mir auf dem Boden“, antwortet einer der anderen Polizisten. „Was hat er denn gemacht?“, fragt die erste Stimme. „Hat wahrscheinlich Steine geschmissen“, antwortet jemand. „Ja! Genau. Steine geschmissen“, pflichten weitere Stimmen bei.

So wird es Moritz später erzählen. Seine Erinnerungen hat er noch am selben Tag in einem Gedächtnisprotokoll festgehalten, welches das Lamm vorliegt.

Moritz ist ein grossgewachsener Mann mit schulterlangem Haar. An diesem Tag im September 2019 wurde er Opfer eines gewaltvollen Polizeieinsatzes. In den vergangenen Jahren kam es in Zürich zu einer Handvoll Fällen schwerwiegender Polizeigewalt. Der bislang schlimmste ist der Fall eines Mannes, der von zwei Zürcher Polizisten 13-Mal angeschossen wurde. Er leidet sechs Jahre danach noch an den Folgen. Das Verfahren gegen den Polizisten ist immer noch hängig.

Während Schusswaffeneinsätze bis heute in Zürich eine Seltenheit darstellen, ist das, was an diesem Septembertag in Zürich geschah, nichts Ungewöhnliches. Einsätze wie dieser ereignen sich oft, fast beiläufig. Wie oft genau, weiss niemand. Es werden dazu keine Zahlen erhoben. Die Opfer haben wenig Möglichkeiten, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Auch Moritz konnte sich nicht wehren. Am Ende dieser Geschichte werden nämlich nicht die tretenden Einsatzkräfte, sondern Moritz verurteilt. Warum? [weiterlesen bei das Lamm]