Langsame und stetige Vereinnahmung

Ein Jahr nach dem vermeintlichen «Sturm auf den Reichstag» haben die Proteste gegen die Coronamassnahmen in Deutschland an Strahlkraft verloren. Rechte Strukturen haben aber nachhaltig profitiert – darunter eine neue Partei, die jetzt vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Eine Rekonstruktion.

von Eva Hoffmann und Anina Ritscher

Veröffentlicht am 26.08.2021 in der Wochenzeitung WOZ


Am 29. August 2020 ist die Situation vor dem Reichstagsgebäude in Berlin unübersichtlich. In öffentlichen Gruppen auf Telegram kursieren Gerüchte. Sechs Millionen Menschen sollen demnach heute kommen, um gegen Coronamassnahmen zu demonstrieren. Russische und amerikanische Soldaten seien unterwegs in die Hauptstadt. Am Rand der Grossdemonstration heisst es, man müsse jetzt «unser Haus» zurückerobern, und ausserdem sei Donald Trump in der Stadt. Die Bilder von Männern, die verbotene Reichskriegsflaggen auf den Treppen vor dem Parlamentsgebäude schwenken, gehen um die Welt.

Die Gerüchte entpuppen sich im Nachhinein als falsch. Und es war auch kein «Sturm» auf den Reichstag, der sich in Berlin abspielte: Die «Masse» konnte von drei Polizisten und einer verschlossenen Glastür aufgehalten werden. Trotzdem stellt dieser Tag in Berlin vor einem Jahr einen Wendepunkt dar im Diskurs um die Beteiligung Rechtsextremer bei der massnahmenkritischen «Querdenken»-Bewegung in Deutschland. Nirgends waren sie zuvor augenscheinlicher aufgetreten als dort, auf den Stufen des Reichstags.

Nur ein Jahr nach Beginn der Proteste sind aus dem vermeintlich losen Auftreten Rechtsextremer bei Querdenken institutionalisierte demokratiefeindliche Strukturen gewachsen. Während Querdenken an Anziehungskraft und Bedeutung verlor, haben Rechtsextreme von der Bewegung profitiert. Wie konnte es dazu kommen? [weiterlesen auf woz.ch]