Wofür starb Kesha?

Abdelsalam Kesha war einer von Millionen junger Sudanesen, die ihren brutalen Diktator stürzten. Vor einem Jahr starb er unter den Schüssen des Regimes und wurde zur Ikone. Seine Familie und seine Freunde aber fragen sich: War es das Opfer wert?

Bartholomäus von Laffert und Helena Lea Manhartsberger

erschienen am 03.06.2020 in der REPUBLIK


Wie ein Geist verfolgt uns das Gesicht des Toten durch die Strassen von Khartum, der Hauptstadt Sudans. An einer Haus­wand im Stadtteil Bahri, die Augen weit aufgerissen und erwartungs­voll zum Himmel gerichtet, die Haare in Grün, Rot, Weiss und Schwarz, den Farben der Flagge Sudans. Und neben dem Eingangs­tor seines Eltern­hauses in der Al-Baladiya-Strasse. Inzwischen haben sie sie umbenannt: Strasse des Märtyrers Abdelsalam Kesha.

Auch an der Wand der Universität von Khartum prangt sein Gesicht, dort, wo die Imam-al-Mahdi-Sharq-Strasse einen Knick macht und auf die Nilstrasse trifft. Dort, wo vor einem Jahr noch eine Barrikade aus Metall­stangen und Beton­klötzen die Grenze zwischen Utopie und Wirklichkeit markierte, zwischen den Demonstranten und den Militärs. Gerade jetzt, als Iman Osama, eine junge Frau mit kurzen, dunklen Locken, behutsam mit den Fingern über die Konturen des gesprayten Gesichts fährt, rauscht ein Militär­truck vorbei. Voll beladen mit jungen Männern mit Maschinen­gewehren. Manche tragen die dunklen Uniformen des Militärs, manche die beigen der Rapid Support Forces (RSF), jener berüchtigten Miliz, die auch unter dem Namen Janjawid bekannt ist.

«Eigentlich hätten wir zusammen sterben sollen», sagt Iman. Am 2. Juni um elf Uhr abends umarmt sie ihn zum letzten Mal. Sieben Stunden später ist Abdelsalam Kesha tot, ermordet im Alter von 25 Jahren durch zwei Schüsse: einen ins Bein, einen durch die Brust und mitten ins Herz. Er stirbt am 3. Juni kurz nach sechs Uhr im Krankenhaus, 50 Meter Luftlinie von hier.