Die Jägerin: Eine Frau gegen die brutalsten Menschenhändler der Welt

von Paul Hildebrandt und Lucia Heisterkamp

erschienen im SZ-Magazin, 29/2022

In Libyen haben Menschen­händler eine besonders perfide Methode entwickelt, um Geld zu verdienen: Sie foltern Flüchtlinge, um von deren Angehörigen Lösegeld zu erpressen. Meron Estefanos führt einen erbitterten Kampf gegen die Verbrecher.

Die Zentrale der Frau, die einige der schlimmsten Menschenhändler der Welt vor Gericht gebracht hat, liegt in einem ruhigen Vorort von Stockholm. Dritter Stock, ein spärlich beleuchtetes Wohnzimmer mit schwarzer Ledercouch. Es gibt hier keine Schreibtische mit Computern, keine Regale voller Aktenordner. Nichts deutet darauf hin, dass Meron Estefanos, 48 Jahre, Mutter von zwei Kindern, geschafft hat, woran Behörden aus Europa seit Jahren scheitern. Ihr Werkzeug liegt vor ihr auf dem Couchtisch. Ein Smartphone.

Seit Jahren werden in Libyen geflüchtete Menschen entführt, gefoltert und die Angehörigen um Lösegeld erpresst. Estefanos’ Geschichte wirft ein Schlaglicht auf die gescheiterte Arbeit europäischer Behörden gegen diesen Menschenhandel in Libyen. Sie erzählt von Ermittlern, die sich nicht für die Opfer zu interessieren scheinen, von Staatsanwälten, die Unschuldige ins Gefängnis sperren und Täter unbehelligt lassen, von Politikern, die dem Leid untätig zuschauen.

Sie führt von Eritrea, wo jedes Jahr Tausende Menschen fliehen, nach Libyen, wo Flüchtlinge verschleppt und gefoltert werden. Sie führt nach Schweden und Deutschland, wo Angehörige von Flüchtenden erpresst werden. Und nach Äthiopien, wo einer der meistgesuchten Menschenhändler der Welt schließlich vor Gericht steht.

Was Meron Estefanos erzählt, klingt unglaublich: Nur mithilfe ihres Telefons will sie Verbrecher gejagt haben, die mit Folter reich geworden sind. Um die Geschichte zu verifizieren, haben wir mit Ermittlern gesprochen, mit Wissenschaftlerinnen und Aktivisten. Wir haben Berichte gesammelt, Gerichtsakten studiert und Zeugen befragt.

Verlängerter Arm: Ihr Smartphone ist das wichtigste Werkzeug von Meron Estefanos.

Eine Frau allein gegen ein Netz von brutalen Menschenhändlern. Für viele Menschen ist die Frau im dritten Stock eine Heldin. Doch der Preis, den Estefanos für ihren Kampf gezahlt hat, ist hoch.

Ihre Geschichte, so schildert sie es, beginnt mit einem Anruf.

Bild: Robin Hinsch
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