Endstation Khartum

Einhunderttausend Eritreer sitzen auf dem Weg nach Europa im Sudan fest. Liegt das an der europäischen Flüchtlingspolitik?

Bartholomäus von Laffert und Helena Manhartsberger

erschienen am 25.05.2020 in der taz am Wochenende


Ein Poster im Flüchtlingslager Al-Shagarab, das Menschen vor der Flucht nach Europa warnen soll

Ein Poster im Flüchtlingslager Al-Shagarab, das Menschen vor der Flucht nach Europa warnen soll

In einem dunklen Zimmer in Khartum, das früher einmal eine Garage gewesen ist, sitzt ein junger Mann aus Eritrea in weißem Unterhemd auf einer Bettkante und erzählt, wie sein Traum von Europa zerbrach.

Wenn Noah Solomon* spricht, dann flüstert er. Wenn es an der blauen Metalltür klopft, schreckt er zusammen. Auf seinen Unterarm hat er sich „Sorry Mam“ tätowiert. Einmal auf Englisch – einmal auf Tigrinisch. Vor zwei Jahren ist er aus Libyen in die sudanesische Hauptstadt zurückgekehrt.

Solomons Geschichte ist die eines Überlebenden oder – je nachdem, wer sie erzählt – die eines Versagers. Er ist einer von Tausenden ostafrikanischen Geflüchteten, die in den vergangenen Jahren nach Khartum kamen, um von hier weiterzuziehen nach Libyen und von dort nach Europa.

1,1 Millionen Geflüchtete leben laut Angaben des Flüchtlingshilfswerks ­UNHCR im Sudan. 122.000 kommen aus Eritrea, andere aus Äthiopien und Südsudan. Wie viele sich wie Solomon unregistriert im Land aufhalten, weiß niemand.

2014 hat die EU die strategische Bedeutung des Sudan für Migration nach Europa erkannt und den Khartum-Prozess gestartet, eine Initiative zur Vernetzung der EU mit den Ländern am Horn von Afrika. Es ist ein Versuch, Menschen wie Noah Solomon von der Flucht nach Europa abzuhalten.

81 Millionen Euro hat die EU bis 2022 für das Better Migration Management (BMM) in den acht Ländern am Horn von Afrika bereitgestellt, das zum Großteil von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) umgesetzt wird. Das offizielle Ziel der GIZ lautet: MigrantInnen besser schützen. Mit Informationskampagnen, die über die Gefahren auf den Fluchtrouten aufklären sollen. Oder mit dem Training von Grenzpolizisten und Behörden wie dem Nationalen Komitee zur Bekämpfung von Menschenhandel.

Tatsächlich ist die Zahl der Geflüchteten vom Horn von Afrika seit Beginn des Khartum-Prozesses stetig zurückgegangen. 2015 waren 25 Prozent aller Geflüchteten, 39.000 Menschen, die von Nordafrika nach Italien flohen, aus Eritrea. Aus keinem Land kamen damals mehr. Im Jahr 2019 sind es noch so wenige, dass sie in der Statistik nicht mehr separat gelistet werden.

Und das, obwohl die Zahl der Eri­treerInnen, die jedes Jahr in den Sudan kommen, nach Angaben der sudanesischen Behörden und des UNHCR stets konstant geblieben ist.

Sind diese Zahlen Belege für den Erfolg der EU-Politik am Horn von Afrika?

In Al-Jerif, einem Viertel in der sudanesischen Hauptstadt Khartum, liegt hinter einem unscheinbaren Metalltor ein Teil der Antwort. Die Frauen legen ihre Kopftücher ab, die Männer tragen Rosenkränze ums Handgelenk. Die Menschen hier drinnen sprechen Tigrinisch und nicht Arabisch wie auf der Straße. Alle in der Garagensiedlung in Al-Jerif teilen ein Schicksal: Sie sind aus Eritrea geflohen.

Hier lebt Noah Solomon, der 2016 vor dem Wehrdienst in den Sudan floh und 2017 den Beschluss fasste, nach Europa zu gehen.